Start des Ortenburg-Seminars an der Universität Graz

Gestern fiel der Startschuss für das Seminar „Regionalgeschichte: Herrscher und Beherrschte. Zur Entwicklung der ehemaligen Reichsgrafschaft Ortenburg bei Passau in Spätmittelalter und Frühneuzeit“ an der Karl-Franzens-Universität Graz. Wir sind gespannt, welche Themen bzw. Arbeiten in den nächsten Wochen auf den Weg gebracht werden.

Nachfolgend findet Ihr auch nochmals den originalen Pressetext zur Digitalisierung des Arbeitsmaterials im Februar.

Archivarbeit im Akkord

Universitäts- und Heimatforschung schießt gemeinschaftlich 16.000 Fotos vom Münchener und Landshuter Ortenburgbestand

Ortenburg/München/Landshut. Ab März setzen sich Geschichtsstudierende der Karl-Franzens-Universität Graz im Rahmen des Seminars „Regionalgeschichte“ mit dem inneren Gefüge, das heißt Herrscher und Beherrschte, der einstigen reichsunmittelbaren Grafschaft Ortenburg auseinander. Doch hierfür braucht es zunächst eines: Arbeitsmaterial. Die Schwierigkeit: (Fern-)Zugriff auf die besonders ergiebige archivalische Überlieferung. Denn die analogen, jahrhundertealten und teils erste Zerfallserscheinungen aufweisenden Originalunterlagen sind verstreut in Archiven eingelagert – größten Teils in München, aber auch in Coburg, Landshut oder Nürnberg und damit weit entfernt vom steirischen Forschungsstandort.

Aus diesem Grund brachen Seminarleiter Prof. Dr. Günther Bernhard und das Team des heimatgeschichtlichen Projekts Ortenburgica für zwei Tage nach München auf, um Akten aus dem Spätmittelalter und der Frühneuzeit zu digitalisieren. Was sich grundsätzlich einfach anhört, gestaltet sich in der praktischen Umsetzung jedoch nicht ganz so. Die Einschränkung des Fotografierens ohne Blitz sind viele für private Zwecke aus Museen inzwischen gewohnt. Die Benutzerordnung am Hauptstaatsarchiv holt zum Schutz der historischen Objekte jedoch deutlich weiter aus.

Etwaige Hilfsmittel müssen vorab angefragt bzw. angekündigt werden. So blieb beispielsweise die Spiegelreflexkamera zuhause, da sich das Geräusch beim Auslösen nicht unterdrücken lässt. Da der Lesesaal einen Ruhebereich darstellt, ist der Einsatz deshalb nicht erlaubt. Ein mitgebrachter portabler und berührungsloser Buchscanner mit dimmbarem Kaltlicht besteht bedauerlicher Weise die Eingangsprüfung vor Ort nicht. Folglich wird das Smartphone zum alleinigen Digitalisierungsinstrument. Auch das ist kein Beinbruch, da der Stand der Technik auch über diesen Weg tolle Bilder ermöglicht. Nur wer sich mit einem Stativ behelfen möchte, wird im Enthusiasmus von Neuem gebremst: auch ein solches ist nicht zugelassen.

Somit bleibt das sprichwörtliche Schießen aus der Hüfte oder der Griff zum verfügbaren Smartphone-Scanzelt mit LED-Belichtungsring übrig. Ersteres ist die Wahl für die in Format und Bindung ständig wechselnden Faszikel, also Bündel von Akten bzw. einzelnen Manuskriptseiten. Manche der darin enthaltenen Einzelblätter sind aufgefaltet so groß, dass sie sogar einen ganzen Tisch ausfüllen. Handhabbarere Unterlagen in der Größe bis A3 laufen dagegen über das Zelt, primär wegen der stativähnlichen Ablagefunktionalität. Aufgrund der großen Menge und des knappen Zeitbudgets wird auf die Verwendung der speziellen Begleit-App verzichtet, wenngleich sie zum Beispiel automatisches Auslösen oder Texterkennung unterstützt hätte. Sprich keine Software-Installation, Einarbeitung, prozessverlangsamende Verarbeitung, gar ungewollte Experimente und am Ende vielleicht noch böses Erwachen nach erstmaligem Einsatz – sicher ist sicher. Dennoch entstehen auf die altbewährte Weise mehr als 14.000 Fotos in grob 13 Arbeitsstunden. „Die Fülle an Lehenurkunden und Kirchenrechnungen des 18. Jahrhunderts ist unglaublich. Das gibt es so nirgends“, schwärmt der Grazer Professor für mittelalterliche Reichsgeschichte und ergänzt, dass Details zum Vertiefen äußerst selten vorhanden seien. Die Kalender Graf Joachims von Ortenburg mitsamt seinen persönlichen Eintragungen haben es Bernhard besonders angetan, da es einzigartige Zeitdokumente seien.

Am Folgetag ging die Reise für den Professor sogar noch weiter ins Staatsarchiv in Landshut. Auch dort wurden nochmals ergänzend 2.000 Fotos von Urkatasterbänden aus dem frühen 19. Jahrhundert gemacht. Mithilfe dieser Dokumente erhofft er sich, eine Brücke zwischen den bayerischen und den älteren gräflich ortenburg’schen Archivunterlagen schlagen zu können.

Ausgestattet mit diesem frisch erstellten Bildfundus werden die Studierenden im anstehenden Sommersemester mittels regionalgeschichtlicher Methodik nicht „über“, sondern „in“ der Reichsgrafschaft Ortenburg forschen. Dabei sollen verschieden Aspekte wie Alltagsleben, Besitz-, Wirtschafts- und Sozialstruktur, Tod und Sterben, Verhältnis zum Reich, zu Bayern und zum Bistum Passau beleuchtet werden. Die Studierenden sollen im Rahmen des Seminares ihre hilfswissenschaftlichen Fähigkeiten vertiefen, worunter das Lesen, Verstehen und inhaltliche Aufbereiten von Originalquellen zu verstehen ist. Die Ergebnisse werden in Form von Seminararbeiten zusammengefasst und ergänzen die bisherigen wissenschaftlichen Publikationen zur Ortenburger Geschichte aus der Karl-Franzens-Universität Graz.

Vilshofener Anzeiger, Ausgabe vom 11. Februar 2023, Nr. 35, S. 21.
Passauer Neue Presse, Ausgabe vom 04. März 2023, Nr. 53, S. 46.